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Plädoyer für eingeschaltete Webcams in Live-Online-Seminaren

Beim Einsatz von Teilnehmer-Webcams in Live-Online-Seminaren scheiden sich im wahrsten Sinne des Wortes die Geister. Sollen die Kameras der Teilnehmer/innen aktiv sein oder nicht? Immer wieder höre ich von Trainer/innen, dass sie sich durch den Einblick in private Räume gestört fühlen oder dass sie es ihren Klient/innen nicht zumuten können, eine Webcam einzuschalten. Auf der anderen Seite beschäftigen sich Studien mit dem Symptom der Online-Müdigkeit - der „Zoom-Fatigue“ - durch fehlende soziale Interaktion. Aber wie passt das zusammen?  

Ich persönlich finde es sehr ermüdend, wenn Moderatoren ihre Präsentationen teilen und ich nur ihre Stimme höre. Da fällt mir die Folge „Double Exposure“ der Krimiserie Columbo ein: Ein Wissenschaftler kommentiert eine Filmvorführung. Die Zuschauer merken aber nicht, dass seine Stimme nur vom Band kommt. Das gibt ihm das scheinbar perfekte Alibi für einen Mord... Das klingt vielleicht etwas überspitzt, aber bei solchen Vorträgen ziehe ich ein aufgezeichnetes Video vor - dann kann ich wenigstens uninteressante Passagen vorspule

Unser Ansatz

Bei der Isartal Akademie haben wir uns mit der Einführung unserer Live-Online-Seminare auch Gedanken darüber gemacht, wie wir das Zusammenspiel von Trainer, Gruppe und Thema interaktiv und aktivierend gestalten können. Unser Ansatz: Ein Seminarkonzept mit kurzweiligen Lern-Einheiten, die sich perfekt in den Arbeitsalltag der Teilnehmer/innen integrieren lassen plus ein „Green Screen Studio“ als virtuelles Klassenzimmer.

 

Das Studio bietet mir als Trainer gleich mehrere Vorteile: 

  • Beziehung aufbauen: Meine Teilnehmer/innen können sowohl meiner Präsentation (dem Thema) als auch mir (dem Referenten) folgen. Dadurch kann ich zwischen mir, dem Thema und der Seminargruppe eine Beziehung aufbauen – eine Grundvoraussetzung für soziales Lernen. 
  • Aufmerksamkeit erzeugen: Da ich nicht mehr zwischen Drehstuhl und Laptop eingezwängt bin, kann ich neben meiner Mimik auch meine Gestik und weitere Stilmittel nonverbaler Rhetorik einsetzen. Das hilft mir, die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden zu (er-)halten. 
  • Mehr Abwechslung bieten: Ich verfüge über eine größere Methodenauswahl, weil ich digitale Medien wie Online-Quiz und Whiteboards mit altbekannten, analogen Medien wie Flipchart und Moderationswand kombinieren kann – für noch mehr Abwechslung im Seminar. 

Mit diesen Maßnahmen gelingt es uns, aktivierende Seminare zu gestalten und das Interesse unserer Teilnehmenden zu wecken. Doch reicht das auch für interaktive Seminare?

„Was trägst Du dazu bei?“ 

In der Soziologie sprechen wir von Interaktivität, wenn sich Menschen gegenseitig wahrnehmen können und sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren. Mit unserem Setup kann mich meine Seminargruppe wahrnehmen und sie können Ihr eigenes Verhalten darauf ausrichten. Aber wie kann ich den Lernprozess auf meine Seminargruppe ausrichten, wenn ich sie nicht wahrnehmen kann, weil die Webcams ausgeschaltet und die Mikrofone stumm geschaltet sind? Interaktion ist so kaum möglich. 

Viele Teilnehmer/innen empfinden Live-Online-Seminare ermüdend („Zoom-Fatigue“). Entsprechend ernüchternd fällt das Feedback aus. Auch wenn ein Seminaranbieter seine „Hausaufgaben“ für aktivierende Seminare gemacht hat? 

„Was trägst Du dazu bei?“ 

Diese rhetorische Frage stellt ein Trainerkollege häufig, wenn sich ein/e Teilnehmer/in über eine Situation beklagt hat. Auch ich stelle hier die Frage: Welche Mitverantwortung tragen die Teilnehmer/innen bei der Gestaltung interaktiver Seminare? In der Erwachsenenbildung ist es nicht meine Aufgabe, die Teilnehmer/innen zu erziehen. Aber wenn sie sich über Online-Müdigkeit beklagen: Sind sie sich bewusst, welchen Beitrag sie dazu leisten? 

Mein Lösungsvorschlag: Kamera anmachen oder Lernvideo nutzen 

Online-Müdigkeit („Zoom-Fatigue“) in Seminaren ist vermeidbar! Mit dem richtigen Setup können Seminaranbieter/innen aktivierende Lernumgebungen schaffen - die Grundvoraussetzung für interaktive Seminare. Wenn Seminarteilnehmer/innen sich interaktive Seminare wünschen, können und sollten wir Trainer/innen unseren eigenen Beitrag dazu reflektieren. In jeder Gruppe gibt es Regeln des sozialen Miteinanders. „Kamera an“ ist nur eine davon. 

Und wenn die Bandbreite nicht ausreicht oder die Privatsphäre für einen kurzen Moment geschützt werden muss? Dafür habe ich Verständnis - solange es nicht als Feigenblatt für das Bedürfnis nach Anonymität dient. In diesem Fall empfehle ich ein aufgezeichnetes Lernvideo. 

Ralf Bongard

Diplom Ingenieur, München

Ralf Bongard ist Geschäftsführer der ISARTAL akademie und deckt als Trainer die Themengebiete ISTQB® – Certified Tester und IREB® – Certified Requirements Engineer und CPT – Certified Professional Trainer ab. Darüber hinaus ist er Mitglied im GTB und leitet dort die Arbeitsgruppen ISTQB® Certified Automotive Software Tester und Train the Trainer.

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